Reversed Big Brother Principle im Learning Analytics

10:45Impulsforum Forschung

Reversed Big Brother Principle im Learning Analytics

Unter der Bezeichnung Learning Analytics (LA) hat sich seit über 10 Jahren eine Forschungsrichtung etabliert, die sich mit Messung, Sammlung, Analyse und Monitoring von Bildungsdaten sowie den daraus abgeleiteten Interventionen beschäftigt.

In Onlinekursen stehen dabei ausschließlich die Daten von Lernenden im Zentrum des Interesses, während Daten über Verhalten und Leistung von Lehrpersonen den Lernenden vorenthalten werden. Im Vergleich zu einer Lehrveranstaltung in Präsenz können Lehrpersonen schier unsichtbar in Onlinekursen walten und das Lernen überwachen.

Das Reversed Big Brother Principle ändert diese Machtverhältnisse und legt gegenüber den Lernenden bspw. offen,
– ob sich Lehrkräfte im Kurs befinden und was sie gerade tun
– wie viel Zeit die Lehrpersonen im Kurs verbracht haben
– wie weit Korrekturen abgeschlossen/Fragen beantworten sind
– welche Änderungen am Lernmaterial vorgenommen wurden und
– welche Learning Analytics Daten von Lehrpersonen (und Software-Agenten) genutzt wurden.

Wir haben Lernende und Lehrende einer großen deutschen Universität zur Akzeptanz von Reversed Big Brother Tools befragt und stellen ein in der Lehre implementiertes Learner Dashboard vor, in dem Lernende einen Einblick in die Lehraktivitäten der betreuenden Lehrkräfte erhalten.

Theoretischer Hintergrund

  • Das Reversed Big Brother Principle geht auf ein vom lettischen Staat implementiertes Verfahren zurück, wonach Bürger einsehen können, wann Behörden auf ihre Daten zugegriffen haben. Realisiert in X-Road (2024).
  • Die Machtdistanz bezieht sich auf das Ausmaß, in dem weniger mächtige Mitglieder einer Gesellschaft oder Gruppe eine ungleiche Machtverteilung akzeptieren. Übertragen auf den Kontext der Lehre stellt sich die Frage, in wie weit Studierende die durch LA gestiegende Macht der Lehrenden akzeptieren oder eine Gleichberechtigung anstreben.
  • Betrachtet man einen Onlinekurs als einen Kollaborationsraum, in dem mehrere Akteure agieren, so lässt sich aus der Forschung im Bereich des Computer-Supported Collaborative Learning die Notwendigkeit zur Unterstützung der Group Awareness ableiten. Eine solche Awareness-Unterstützung beinhaltet Informationen über den Arbeitsplatz und die dort anwesenden Kooperationspartner, die von ihnen aktuell bearbeiteten Artefakte, den Ort ihre aktuellen Tätigkeit im virtuellen Raum und ihre Intention. Siehe Gutwin & Greenberg (1996) und Greenberg & Gutwin (2016).
  • Eine Analyse der Veröffentlichungen der Konferenzen Learning Analytics and Knowledge sowie der Education Data Mining ergabe keine Forschungsarbeiten, in denen Lernenden Daten des Verhaltens von Lehrpersonen nutzen konnten. Relevant ist diese Frage, da viele Daten über Studierenden gesammelt, jedoch nicht genutzt werden. Durch die Umsetzung des Reversed Big Brother Prinzips können Studierende erkennen, welche ihrer Daten tatsächlich durch Lehrende oder Software Agenten (bspw. adaptive Systeme) verwendet und somit benötigt werden.

Vortragende

  • Nils Seidel (FernUniversität in Hagen)

Wann?

  • 3. September 2024
  • 10:45 Uhr

Was?

  • Impulsforum Forschung