Wie KI-Methoden und digitale Medien die Sportwissenschaft verbessern können – Jan Venzke über seine Arbeit bei KI:edu.nrw

Wie kann der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) Studierende im Lernprozess von praktischen (Sport-)Kursen unterstützen? Welche Rolle spielen dabei Datenerhebungen und -analysen? Und kann ein Einsatz von digitalen Medien in der Sportwissenschaft die Lehre verbessern? Das sind nur einige der Themen, mit denen sich Jan Venzke vom KI:edu.nrw-Teilprojekt Sportwissenschaft beschäftigt.

KI:edu.nrw ist ein Kooperationsprojekt der RUB und der RWTH Aachen. Hier sondiert ein interdisziplinäres Projektteam, unter welchen Voraussetzungen ein Einsatz von Learning Analytics und KI-basierten Methoden zu einer besseren Hochschullehre beitragen kann.

In unseren Projekttagebüchern stellen wir regelmäßig die vielfältigen Teilprojekte von KI:edu.nrw vor. Diesmal haben wir mit Jan Venzke, M. Sc., vom Teilprojekt an der Fakultät für Sportwissenschaft gesprochen. Jan hat an der Ruhr-Universität Bochum Sportwissenschaft studiert und hat sein Studium 2015 mit dem Master abgeschlossen. Seit August 2022 ist er am Lehrstuhl eHealth und Sports Analytics für das Projekt KI:edu.nrw tätig. Im Interview spricht Jan über die Herausforderungen der Sportwissenschaft und über die Chancen, die Künstliche Intelligenz und digitale Medien für den Studiengang mit sich bringen.

Wie würdest du in wenigen Sätzen das Vorhaben sowie die Zielsetzung eures Teilprojektes erklären?

Das übergeordnete Ziel ist, KI-Methoden und allgemein den Einsatz der digitalen Medien in der Sportwissenschaft zu nutzen, um die Studierenden im Lernprozess von praktischen Kursen zu unterstützen. Für die Lehrenden in den Praxiskursen ist es eine Herausforderung, den individuellen Fortschritt aller Studierenden im Auge zu behalten und sie optimal zu unterstützen. Hier kann der Einsatz von KI und digitalen Medien helfen. Ein erstes Teilziel des Teilprojektes war es, den Studierenden den Einsatz von digitalen Medien näher zu bringen und den selbstständigen Umgang mit diesen zu fördern. Dazu wurde ein Schwerpunkt auf Videofeedback und die Motivation der Nutzung innerhalb der Kurse und in den einzelnen Sportarttutorien gesetzt.

Ein weiteres Ziel ist die Entwicklung einer Software, die KI-gestützt Videos von Bewegungssequenzen auswertet und Feedback hinsichtlich der Qualität der Ausführung geben kann. Im nächsten Entwicklungsschritt gibt die Software Hilfestellungen für die Optimierung der Bewegungsabläufe aus. Dies wird anfangs beispielhaft in der Sportart Wasserspringen an einem Sprung (Fußsprung rückwärts) konzeptioniert. Die Software soll final auch weitere Sprünge auswerten können und auf andere Sportarten ausgeweitet werden.

Wie ist der aktuelle Arbeitsstand? Was sind deine konkreten Aufgaben?

Aktuell versuchen wir, den Studierenden das Videofeedback näher zu bringen. Auch bei den Dozierenden findet das Thema mittlerweile eine größere Beachtung. Dazu hatten wir am Anfang des Projektes mit Tutor:innen und externen „Bewegungsexpert:innen“ zu den Pflichtprüfungen Sollwertvideos erstellt, an denen sich die Studierenden orientieren und ihre eigene Bewegungsausführung (Istwert) mit dem Sollwert abgleichen können. Zurzeit wird das Videofeedback in den Kursen Badminton, Schwimmen und Gerätturnen und auch während der Schneesport-Exkursion in den Sportarten Ski und Snowboard eingesetzt.

Außerdem befinden wir uns in der Anfangsphase der Datenakquise zum Training der KI-Software. Hierzu analysieren wir zunächst nur einen Sprung im Wasserspringen (Fußsprung rückwärts). Dazu haben wir ehemalige professionelle Springer:innen gefilmt, um einen „Goldstandard“ zu erhalten. Aktuell befinden wir uns in der Markierung von prägnanten Punkten in der Bewegung in Absprache mit Expert:innen. Als nächstes werden wir weitere Springer:innen und Studierende filmen, um unterschiedliche Fehlerbilder ableiten zu können.

Digitale Medien sind für die Lehrenden eine enorme Hilfe, den Fortschritt ihrer Studierenden individuell einsehen und begleiten zu können.

Im Kontext von Learning Analytics spielen bei euch sog. „Classroom Analytics“ eine übergeordnete Rolle – kannst du dies genauer erklären? Wie können wir uns das für die Sportwissenschaft vorstellen?

Der Studiengang Sportwissenschaft ist durch seinen hohen Praxisanteil anders aufgebaut als viele andere Studiengänge. So können Lernfortschritte nicht nur an objektiven Daten festgemacht werden, sondern müssen vermehrt subjektiv bewertet werden. Für bevorstehende Praxisprüfungen und allgemein für die Praxis besuchen Studierende zusätzlich eines der jeweiligen Sportartentutorien, die von Tutor:innen aus der Studierendenschaft betreut werden. Damit ist es für die Lehrenden schwieriger geworden, den Lernfortschritt zu verfolgen und zu dokumentieren.

Eine weitere Herausforderung ist, dass in den Praxiskursen keine objektiven Daten der einzelnen Bewegungsausführungen gewonnen werden, wie es sie bspw. in den Theorieseminaren in Form von Hausaufgaben oder Tests gibt. Im Gegensatz zu den praktischen Übungen können theoretische Aufgaben relativ einfach in Plattformen wie Moodle getrackt und ausgewertet werden. Eine gute und differenzierte Rückmeldung im Techniklernen bedingt eine Betrachtung der Bewegung aus mehreren Perspektiven und Winkeln. Dafür müsste die Lehrperson bei jeder Übungseinheit vor Ort, was – gemessen an den Lehrdeputaten – nicht zu stemmen ist.

Digitale Medien sind somit für die Lehrenden eine enorme Hilfe, den Fortschritt ihrer Studierenden individuell einsehen und begleiten zu können. Einerseits können so die Studierenden dort abgeholt werden, wo sie wirklich in ihrem Lernprozess stehen. Andererseits bekommen die Lehrenden einen verbesserten Überblick, wo häufig Schwierigkeiten auftreten und können aus der Rückmeldung der verschiedenen Datenanalysetechnologien, wie auch der von uns konzeptionierten Software, ihr Lehrangebot anpassen und optimieren.  

Classroom Analytics bedeutet bei uns also, dass wir unsere Studierenden mit Software-Unterstützung beim Lernen immer wieder beobachten und bewerten – wobei man zugeben muss, dass es bei uns keine klassischen Hörsaalsituationen sind, wie das sonst für Classroom Analytics eigentlich der Fall ist.

Wie läuft bei euch die Datensammlung und die anschließende Auswertung ab?

Wie erwähnt starten wir das Projekt zuerst im Wasserspringen. Im ersten Schritt haben wir mehrere Positionen zum Filmen ausprobiert. Da wir später auch eine Vergleichbarkeit der Aufnahmen gewährleisten wollen, aus denen die Studierenden ihre Bewegungen aufnehmen, war dieser Schritt konzeptionell wichtig. Dazu gab es eine Vielzahl von Versuchen mit unterschiedlichen Sprungweiten, Sprunghöhen, Aufnahmepositionen, Aufnahmegeräten, Videoeinstellungen und auch Sprungausführungen, um die Skalierbarkeit der Aufnahmebedingungen zu gewährleisten. Die aktuellen Aufnahmen machen wir mit unterschiedlichen Bildwiederholraten und Auflösungen, um die Genauigkeit zu erhöhen, mit der wir die Software trainieren können. Außerdem möchten wir uns durch dieses Vorgehen nicht allzu weit von dem entfernen, was die Kameras der „aktuellen“ Smartphone-Generation leisten können.

Mit Expert:innen im Wasserspringen haben wir außerdem typische Fehlerbilder skizziert und anschließend evaluiert, an welchen Punkten wir diese „objektiv“ festmachen können. Momentan nutzen wir im ersten Schritt die Software Kinovea, um halbautomatisch Gelenkpunkte zu markieren. Die gewonnenen Daten können mithilfe eines einfachen Programms in Matlab bereits in rudimentäre Rückmeldungen wie „du springst nicht hoch genug“ verarbeitet werden. Im Sommersemester 2023 werden wir dann versuchen, in einer größeren Stichprobe Studierende zu rekrutieren, die uns Daten für den „Alpha-Sprung“ liefern sollen. Diese werden markiert und von Experti:nnen bewertet. Wir gehen davon aus, dass sich im Vergleich zu den „Goldstandards“ Unterschiede zeigen lassen und wir unsere Software mit diesen Sprüngen anlernen können.

Durch die Nutzung von KI und automatischer Bilderkennung erhoffen wir uns eine Verbesserung der eigenen Bewegung und somit einen höheren Studienerfolg in den Praxiskursen.

Welchen Nutzen erhofft ihr euch von Datenanalysen in der Sportwissenschaft?

Sportwissenschaft ist durch den hohen Praxisanteil ein sehr außergewöhnlicher Studiengang und hat deswegen mit Herausforderungen zu kämpfen, die es in anderen Studiengängen nicht gibt. Die Praxiskurse müssen entweder mit sogenannten Pflichthaken oder als Modulprüfung in einer größer angelegten Prüfung (bspw. Gerätturnen mit zwei Pflichtübungen an selbstgewählten Geräten und zwei Kürübungen) beendet werden. Für jede Sportart gibt es Tutorien und freie Übungszeiten. Wir erhoffen uns (A) einen besseren Umgang mit digitalen Medien und somit eine häufigere Nutzung von Videofeedback, (B) ein verbessertes Korrektursehen und Intervenieren auf analysierte Fehlerbilder und (C) durch die Nutzung von KI und automatischer Bilderkennung auch eine Verbesserung der eigenen Bewegung und somit einen höheren Studienerfolg in den Praxiskursen.

Wie reagieren die Studierenden und Lehrenden auf die Datenanalysen?

Auf das vorgeschaltete Projekt mit dem Videofeedback erhalten wir bisher gemischtes Feedback: Die Lehrenden sehen das Projekt, gerade auch den erhöhten Fokus auf das Videofeedback in ihren Kursen, sehr positiv und widmen dem Thema mittlerweile auch ganze Unterrichtsstunden. Die Studierenden reagierten nicht unbedingt negativ, das Angebot wird aber bisher kaum genutzt. Die Gründe dafür evaluieren wir derzeit innerhalb der Schneesport-Exkursion.

Über die Datenanalysen der Software können wir die Reaktionen aktuell noch nicht abschätzen. Einzelne Lehrende versuchen in eigener Initiative, das Thema voranzutreiben und die Studierenden vom Mehrwert zu überzeugen. Da wir noch nicht im Prozess der Datenakquise bei Studierenden sind, bleiben Reaktionen auf die konzeptualisierte Software aus. Es haben sich aber bereits mehrere Studierende dazu bereit erklärt, Proband:in für die ersten Einheiten zu sein.

Was war dein persönliches Projekt-Highlight?

Mein Studium der Sportwissenschaft liegt nun schon einige Zeit zurück und so hat es mich sehr gefreut, wieder mehr in den einzelnen Sportarten aktiv zu werden. Ich selbst habe mich mittlerweile dem Tanzen verschrieben, habe aber immer einen Hang für Sportarten gehabt, die in das „Artistische“ oder „Akrobatische“ gehen und konnte mich auch während des Studiums für das Gerätturnen und Wasserspringen begeistern. Die Zusammenarbeit mit den Tutor:innen und Expert:innen und auch mit den Studierenden allgemein hat mir sehr viel Freude bereitet. Besondere Highlights waren wohl, zu sehen, dass auch die Expert:innen der einzelnen Sportarten Fehler machen können. Keine Sorge, keiner ist zu Schaden gekommen!

Wie würde euer ideales Projektergebnis aussehen?

Ein ideales Projektergebnis wäre eine Software, die in der Lage ist, Fehlerbilder in der Ausführung von Bewegungsmustern der Studierenden zu erkennen und diese den Studierenden mitzuteilen. Weiterführend sollte sie methodische Übungsreihen vorschlagen können, durch die die Studierenden an den Fehlern arbeiten können. Die Software sollte einfach zu bedienen sein und eine klare und präzise Rückmeldung geben. Darüber hinaus sollte sie flexibel genug sein, um sich an verschiedene Arten von Bewegungen anzupassen.

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