Wie KI-Tools dabei helfen können, Fremdsprachen zu lernen – Dr. Seth Berk über das Teilprojekt Fremdsprachliches Schreiben
KI:edu.nrw ist ein Kooperationsprojekt der RUB und der RWTH Aachen. Hier sondiert ein interdisziplinäres Projektteam, unter welchen Voraussetzungen ein Einsatz von KI-gestützten Lerndatenanalysen (Learning Analytics) sowie von KI-Tools zu einer besseren Hochschullehre beitragen kann.
In unseren Projekttagebüchern geben wir Einblick in den aktuellen Projektstand der verschiedenen Teilprojekte. In diesem Blogbeitrag erzählt Dr. Seth Berk über das Teilprojekt „Fremdsprachliches Schreiben“ und welche Möglichkeiten sich durch den Einsatz von KI-Tools beim Lehren und Lernen eröffnet haben. Seth Berk hat an der Columbia University in New York City sowie an der University of Washington in Seattle studiert und später u. a. am Sprachenzentrum der Universität Münster gearbeitet. Seit August 2022 arbeitet er im Zentrum für Fremdsprachenausbildung (ZFA) der Ruhr-Universität Bochum im Fachbereich Englisch und begleitet seit November 2022 das Projekt KI:edu.nrw.
Worum geht es in eurem Teilprojekt konkret?
In unserem Teilprojekt geht um die Bedeutung von KI-Tools für die Fremdsprachenlehre. Zu Beginn haben wir versucht, ein sprach- und niveauübergreifendes Lehrprojekt zu gestalten. Am Zentrum für Fremdsprachenausbildung gibt es viele verschiedene Sprachen und wir schauen, wie man KI-Tools für alle Niveaus differenziert und gewinnbringend einsetzen kann. Es gibt große Unterschiede in den GeR-Niveaustufen und zudem haben Anfänger*innen (A1/A2) und Studierende der Mittelstufe (B1/B2) unterschiedliche Fähigkeiten und Bedürfnisse, um die jeweilige Sprache lernen zu können. Man muss sehr genau schauen, wie man die Tools nutzt, um noch einen Lerngewinn zu haben. Auch muss geschaut werden, wie Lehrinhalte angepasst werden müssen.
„Es gibt das alte Beispiel über die Nutzung des Taschenrechners. Wenn man ihn von vornherein benutzt, lernt man nie im Kopf zu rechnen. Genauso ist es mit Tools für Fremdsprachen – wenn man sich von Beginn an darauf verlässt, wird man die Sprache nicht lernen.“
Wir haben überlegt, wie man die Tools für unterschiedliche Niveaustufen einsetzen kann. Sie können beispielsweise als Einstieg für Anfänger*innen genutzt werden, um anfängliche Hemmungen vor einer Sprache abzubauen. Eine Möglichkeit ist, kurze Gedichte oder Sätze durch ein Tool übersetzen zu lassen, um zu schauen, wie die Fremdsprache aussieht und ob verwandte Worte wiedererkannt werden. Die Niveaustufen B1 und B2, also fortgeschrittene Anfänger*innen, konnten mit einer Selbstkorrektur experimentieren, die perspektivisch uns Lehrende entlasten und den Studierenden unmittelbares Feedback geben konnte. Uns hat hier besonders interessiert, ob eine KI das leisten kann und wie die Studierenden dieses Feedback sehen. Mit fortgeschrittenen Sprachlernenden (C1/C2) kann man noch mehr experimentieren. Sie konnten auf der Metaebene schon kritisch auf die Tools schauen. Wenn sie einen Text mit KI schreiben lassen, müssen sie sich fragen: Was muss man machen, um zu überprüfen, ob ein Text gut ist? Was muss verbessert werden? Dafür benötigt man schon eine gewisse Sprachkompetenz. Andere Lernende nutzen KI-Tools als Inspiration, beispielsweise bei Schreibblockaden. All das wurde im Sommersemester 2023 umgesetzt und ist schon abgeschlossen.
Wie ist der aktuelle Arbeitsstand? Was sind deine Aufgaben?
Neben den oben genannten Implementierungen von KI-Tools in einigen unserer Veranstaltungen haben wir im Sommersemester eine Umfrage über alle Fremdsprachen hinweg zu KI-Tools durchgeführt und die etwa 130 Rückläufe bereits ausgewertet. Es wurde der Kenntnisstand der Studierenden abgefragt, ob sie generell KI-Tools nutzen und ob die Tools im Kurs besprochen wurden. Wir haben die Tools für alle Sprachkurse freigegeben und in etwa einem Viertel der Kurse werden sie schon angewendet. Zusammen mit einer zweiten Befragung der Lehrenden am ZFA werden wir die Erkenntnisse in einem wissenschaftlichen Beitrag voraussichtlich Ende des Jahres veröffentlichen.
Darüber hinaus arbeite ich zusammen mit Kolleginnen an einem Artikel für den Sammelband, der im Rahmen vom KI:edu.nrw im nächsten Jahr erscheinen wird und unsere Projekterfahrungen zusammenfasst.
Außerdem planen wir, eine digitale Handreichung über den Umgang mit KI-Tools für Lehrende und Lernende auf der Webseite des ZFA zu erstellen. Wir erhoffen uns davon, den Lehrenden eine Grundlage zu bieten, um mit Studierenden zu Beginn eines Semesters besprechen zu können, welche Möglichkeiten und auch Risiken es bei der Nutzung generativer KI-Tools beim Fremdsprachenlernen gibt und wie sie im Seminar verwendet werden können.
Ihr beschäftigt euch im Projekt insbesondere mit generativen KI-Tools. Welche Tools nutzt du/ihr im ZFA bereits?
Wir nutzen insbesondere ChatGPT, aber auch DeepL und DeepL Write sind sehr wichtig. Grammarly ist ebenfalls ein wichtiges Tool. Wir haben außerdem gerade begonnen, mit Google Bard zu experimentieren. Wir ermuntern zwar alle Beteiligten, in den Seminaren mit den Tools zu arbeiten, es ist jedoch kein verpflichtender Bestandteil. Auch im Hinblick auf Datenschutz empfehlen wir Lehrenden und Studierenden keine ausschließliche Nutzung von bspw. ChatGPT. Es geht bei der Nutzung vor allem um ein Kennenlernen und keine zu benotende Prüfungsleistung, d. h. einige Aufgaben im Laufe eines Seminars können mit den Tools angefertigt oder bearbeitet werden, aber sie werden nicht benotet. Auch außerhalb von Seminaren wird für Menschen, die an der Universität arbeiten oder studieren und deren Muttersprache nicht Deutsch ist der Alltag durch die Tools zugänglicher. E-Mails können bspw. leichter und schneller verfasst werden. Es baut insgesamt Hemmungen ab, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten.
Aber natürlich gibt es auch kritische Aspekte im Hinblick auf die Nutzung dieser Hilfsmittel, zum Beispiel bei Hausaufgaben. Wenn sehr deutlich wird, dass Aufgaben ausschließlich von einer generativen KI gemacht wurden, gebe ich Studierenden die Möglichkeit, die Aufgaben noch mal einzureichen. Letztlich können wir natürlich nicht alles kontrollieren und wollen auch nicht alles vorschreiben. Es ist wie in anderen Bereichen auch – wir können über den Nutzen und Gefahren aufklären, aber was jede*r Einzelne damit macht, bleibt der Person selbst überlassen. Vertrauen gehört auch dazu.
Wie sieht das Feedback zu den KI-Tools bei euren Studierenden und auch innerhalb eures Teams von Lehrenden aus?
Durch unsere Umfrage haben wir ein paar spannende Rückmeldungen von Studierenden bekommen. Unsere erste grobe Auswertung hat ergeben, dass der Großteil der Studierenden den Umgang mit und die Nutzung der KI-Tools als sehr positiv empfindet. Ein kleiner Teil, etwa 10% der Studierenden möchte KI-Tools nicht nutzen. Ein Hintergrund scheint Idealismus und die Sorge zu sein, dass KI-Tools das kritische Denken beeinflussen oder gar verhindern könnten. Zum Erlernen einer Sprache gehört natürlich auch immer, sich mit anderen Kulturen und dem Denken auseinanderzusetzen.
„Sprache lernen ist Denken lernen.“
Unsere Lehrenden nutzen die Hilfsmittel größtenteils gerne, teilweise auch für Seminarvorbereitungen. Aber natürlich muss auch hier immer noch nachträglich korrigiert werden und die Zeitersparnis ist manchmal nicht mehr so groß. Für Audioaufgaben lassen sich kostenlose Text-to-Speech KI-Tools wie z. B. Speechify sehr gut nutzen: Man tippt etwas ein und es wird gesprochener Text generiert, inklusive Akzente und Betonungen. Für eine solche Aufnahme hat man früher sehr lange gebraucht, heute macht die KI das in kurzer Zeit. Hier sieht man eine wirkliche Arbeitserleichterung. Abgesehen von Arbeitserleichterungen bieten KI-Tools aber auch einen inhaltlichen Mehrwert, da auf unkomplizierte Art und Weise neue Ideen generiert werden können.
Schwieriger wird es bei automatisierter Korrektur von Aufgaben – hier bleibe ich gerne analog und korrigiere noch von Hand, denn datenschutztechnisch empfinde ich es als kritisch, die Arbeiten meiner Studierenden in ein Tool einzupflegen. So steht es auch in dem Gutachten, das die RUB letztens veröffentlicht hat. Außerdem bekomme ich auf diese Weise ein besseres Gefühl über den Leistungs- und Wissensstand.
Was war dein Highlight im Projekt?
Ein besonderes Highlight war die Tagung „Friend or Foe? KI-Anwendungen beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen und im wissenschaftlichen Schreiben“ die wir gemeinsam mit dem Schreibzentrum der RUB organisiert und durchgeführt haben. Es gab Vorträge, Workshops und auch immer die Möglichkeit zum Austausch, das war eine tolle Erfahrung und gute Zusammenarbeit.
Tipp der Redaktion
Hier finden Sie einen spannenden Rückblick auf die Tagung.
Ein weiteres Highlight war die Umfrage, bei der wir vielfältige und hilfreiche Rückmeldungen erhalten haben. Eine solche Umfrage planen wir in angepasster Form auch ein weiteres Mal für das Wintersemester. Die Rückmeldungen helfen uns, besser auf offene Fragen und Bedürfnisse unserer Studierenden eingehen zu können.
Wie sieht euer ideales Projektergebnis aus?
Ein ideales Ergebnis wäre, wenn wir unsere Projektergebnisse in Form eines Leitfadens oder einer Handreichung dauerhaft in der Didaktik und Pädagogik des ZFA unterbringen und auch anderen Hochschulen zur Verfügung stellen können.